Professioneller Fuβballsport in Nordamerika rangiert auf hohem Niveau

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Widar’s Article in English

Jimmy Nielsen aus Dänemark ist der Kansas Torwart / Photo: John May

Professioneller Fuβballsport in Nordamerika rangiert auf hohem Niveau

Über seinen Ausflug in die Welt des nordamerikanischen Major League Fußball berichtet Widar Wendt

„Fußball ist unser Leben.“ Den gleichnamigen deutschen Kinofilm (1999) mit Uwe Ochsenknecht in der Hauptrolle habe ich immer dann vor Augen, wenn ich mit anderen Sportreportern über die Bedeutung des Fußballsports in Europa diskutiere. Die liebevoll erzählte Satire, in der Ochsenknecht einen Fußballfanatiker spielt, dessen Welt sich vor allem um den Club und kaum um die Familie dreht, parodiert die Hingabe zum Fußballvereinswesen mit einem Augenzwinkern und untermauert zugleich subtil die besondere Stellung des Fußballsports für die Deutschen.

Um die Routine des Alltags hinter mir zu lassen und im Urlaub zu entspannen, wählte ich den Westen Kanadas zum Reiseziel. Als ich im Flieger von London nach Vancouver Platz genommen hatte, ahnte ich nicht, dass mich auch hier der Fußballsport begleiten würde. Bisher war ich irrtümlich davon ausgegangen, dass die Kanadier sich nur für Eishockey und die Amerikaner für Football und Baseball begeistern könnten. Fußballvereine gab es zwar, aber das konnte hier doch keine große Sache sein. Weit gefehlt.

Begegnungen im Flieger

Bereits im Flugzeug hätte mir die Begegnung mit meinem indisch-kanadischen Sitznachbarn Shahbaaz Singh (22) zeigen müssen, dass Fußball in Kanada und den Vereinigten Staaten angekommen ist. Wir unterhielten uns stundenlang über Spieltechniken und unsere Lieblingsmannschaften und Shahbaaz freute sich sehr, zum Heimspiel der Vancouver Whitecaps zurück in Vancouver zu sein. Zu dem Zeitpunkt war mir nicht klar, dass ich selber vier Tage nach der Begegnung im Flieger im Presseraum des Stadions sitzen und ein Spiel der Major League, der wichtigsten nordamerikanischen Fußballliga, live verfolgen und kommentieren würde.

Der Vorteil eines freien Journalisten ist der, dass er auch im Urlaub im Ausland und in jeder sonstigen Freizeitsituation die Chance ergreifen kann, einer interessanten Geschichte auf die Spur zu kommen und einen Bericht zu schreiben. So wollte ich ursprünglich drei Wochen an der pazifischen Westküste abschalten und bin nun doch mitten im Trubel eines großen Fußballevents gelandet. Eine grandiose Erfahrung, wie sich zeigen sollte.

“Vorglühen“ im Irish Pub

Am Nachmittag vor dem Spiel treffe ich mich mit den Vancouver Southsiders, der Fangruppe der Whitecaps, in ihrem Stammlokal, dem Irish Pub Doolins, um mir ein Bild von der nordamerikanischen Fankultur zu machen. Ausschreitungen wie bei Spielen des deutschen Zweitligisten Hansa Rostock habe ich nicht erwartet, aber raue Sitten wie bei St. Pauli wären zumindest denkbar. Mit einem derart herzlichen Empfang, wie er mir von den Southsiders bereitet wurde, hatte ich nicht gerechnet. Trotz meiner permanenten Fragerei wurde ich sofort im Fankreis aufgenommen. Brett Bird, der Ombudsmann des Fanclubs, erklärt mir, er verkaufe den Nachmittag über Whitecaps-Schals, um die Einnahmen einem lokalen Fußballprojekt für Straßenkinder zu spenden.

Mit ihrem Detailwissen über deutsche und europäische Mannschaften beeindrucken mich die kanadischen Fußballfans. Ein junger Mann, der sich an unseren Tisch gesellt und einen Schal erwirbt, fragt schließlich, ob er in die Fangruppe aufgenommen werden darf und wird sofort willkommen geheißen. Nach einigen Chats mit den Fans, die lieber nicht auf das Spiel gegen Tabellenführer Sporting Kansas wetten wollen und mit leichtem Wehmut, die Hausmarke des irischen Ales vor dem Spiel nicht probieren zu können, begebe ich mich zum BC Place Stadion am östlichen Ende von Downtown Vancouver.

Die Vancouver Southsiders währends Spiel

Duell zweier Nationen – Vancouver Whitecaps vs. Sporting Kansas City

Es ist 19 Uhr Ortszeit im BC Place Stadion im Herzen von Vancouver. 16.000 Zuschauer begeben sich auf ihre Plätze. Das Punktspiel kann beginnen. Trotz eines zeitgleich stattfindenden Eishockeyspiels, das über die Zukunft der Vancouver Canucks im diesjährigen Stanley Cup entscheidet, ist das Stadion gut gefüllt. Bedeutungsschwanger lugen sowohl die kanadische als auch die US-amerikanische Flagge unter dem großen Spielmonitor hervor, der über der Mittellinie des Spielfelds thront. Mir ist sofort klar: Dies ist nicht nur ein Punktspiel zwischen zwei Fußballclubs der nordamerikanischen Major League, sondern auch ein Duell zwischen zwei Nationen. Kein Wunder also, dass der kanadische Stürmer Teal Bunbury, der für Kansas antritt, lautstark ausgebuht wird, als er im Verlauf der zweiten Halbzeit ins Spiel kommt.

Laute Geräusche unterbrechen meine letzten Vorbereitungen in der Pressekabine. Indianische Trommeln hämmern einen eingängigen Rhythmus zum Einzug der Whitecaps, der Fanblock und die Southsiders jubeln. Panik oder Krisenstimmung unter Vancouvers Whitecaps? Fehlanzeige. Als jüngstes Mitglied der Major League begrüßen sie im Heimspiel den stärksten Gegner der Spielsaison 2012, Sporting Kansas City. Mit einer Erfolgsserie von sechs Siegen in sechs Spielen und 18 Punkten steht die amerikanische Mannschaft um Kapitän Jimmy Nielsen und Trainer Peter Vermes unter Druck, die Führung zu behalten. Trainer Martin Rennie und seine Whitecaps wollen deren Siegesserie ein für allemal beenden. Mit zwei Siegen, zwei Unentschieden, einer Niederlage und nur 8 Punkten müssen sie an diesem Abend ihr Talent unter Beweis stellen.

Ruhiger Spielstart – Top-Run in der zweiten Hälfte

Während auf dem Spielfeld anfangs Standardsituationen von beiden Mannschaften geboten werden, bleibt es in der Pressekabine ruhig. Aurelien Collins (Sporting KC) gelbe Karte für ein Foulspiel an Vancouvers Stürmer Sebastien Le Toux in der 18. Minute ist ein erstes Highlight. Kurz darauf eröffnet Verteidiger Collin, angespornt durch die Verwarnung, die Torsaison für seine Mannschaft. Etwa einhundert Kansas-Fans, die an einem Mittwoch 3.000 Kilometer zum Spiel an der pazifischen Westküste angereist sind, jubeln frenetisch und unterstützen ihr Team so laut sie können.

Nach einer eher ruhigen ersten Halbzeit, in der Vancouvers Stürmer Eric Hassli noch einmal für Aufsehen sorgt und Kansas Torwart Nielsen kurzzeitig volle Konzentration abverlangt wird, kommen beide Mannschaften erst nach der Pause richtig in Fahrt. Die Torchancen der Whitecaps werden dichter, doch der Ehrgeiz geht heftig nach hinten los, als Verteidiger Martin Bonjour in der 51. Minute für ein Eigentor sorgt und damit Kansas Vorsprung auf 2:0 ausbaut.

Sporting KC wird nicht müde mit weiteren Attacken das Spieltempo vorzugeben und in der 65. Minute führt Kansas Stürmer Kei Kamara die Mannschaft zum 3:0. Erst in der 80. Minute sorgt Vancouvers Stürmer Sebastien Le Toux für den langersehnten ersten Treffer. Die kanadischen Jungs legen sich in den letzten sechs Spielminuten nochmal richtig ins Zeug, allerdings ist der Vorsprung von Kansas nicht mehr aufzuholen. Sporting Kansas City setzt seine Erfolgsserie mit einem 7. Sieg (3:1) und 21 Punkten fort.

Eine neue Ära des Fußballsports in Amerika ist eingeläutet

Insgesamt muss ich feststellen, dass mir das Match ausgesprochen gut gefallen hat. Die Spieler waren immer am Ball und lieferten sich insbesondere nach hinten raus einen gelungenen Schlagabtausch. Die Zuschauer im Stadion zeigten sich begeistert, vor allem in der schnellen zweiten Halbzeit. Als Kanadas Mannschaft endlich ein Tor verbuchen konnte, wollte sich das Publikum gar nicht mehr beruhigen. Gleich nach dem Abpfiff wurde die Verbindung zwischen Sportlern und Zuschauern spürbar, als Kansas-Fans und Spieler sich am Spielrand händeschüttelnd begegneten. Mein Sitznachbar in der Kabine kommentierte, dass dies selbst im letzten Jahr so noch nicht vorgekommen sei und eine neue Qualität darstelle.

Ein weiteres Plus für den Fußballsport im pazifischen Nordwesten ist die allgemeine Bekanntheit von John Furlong, den die Whitecaps als Vorstandsvorsitzenden ihres Vereins gewinnen konnten. Der ehemalige Vorsitzende des Organisationskomitees der Olympischen Winterspiele 2010 in Vancouver wird der Region helfen, Fußball weiter ins Rampenlicht zu rücken. Wenn sich dieser Sportsgeist, wie ihn beide Mannschaften und ein faires Publikum an den Tag legten, fortsetzt, dann ist Nordamerika auf dem besten Weg in eine neue Ära des Fußballsports.

Letzte Worte…

Meinen indisch-kanadischen Flugnachbarn Shahbaaz habe ich unter den Zuschauern im Stadion zwar nicht ausfindig machen können, aber ich bin mir sicher, dass er für die Whitecaps kräftig gejubelt hat. Und mein Urlaub? Der ist um ein spannendes Erlebnis in der Pressekabine des BC Place Stadions reicher, sowie um die Erkenntnis, dass Fußball oder soccer, wie die Amerikaner sagen, hier zu einem Major Player im Sportgeschäft geworden ist.

Widar’s Article in English

Spielbildstrecke Whitecaps 1 : 3 Sporting KC

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